Dahabi - Die asile Wüstenstute / Ein Beitrag zur Zweisamkeit von Pferd und Mensch
Einige Tatsachen scheinen nicht zu klären zu sein. In verschiedenen Kulturen bedeuten Worte oft nicht dasselbe. Die Grenze zwischen Fabel und Wahrheit ist bei mir und bei dem Züchter meiner Kuhaylah ad-Dunays anders gezogen, wir beide sind uns der Aussagen des anderen sicher. Nach den Erfahrungen, die ich durch siebzehnjähriges Zusammenleben mit der Araberstute Dahabí gewinnen konnte, verstehe ich aufs Wort die Bekundungen meines arabischen Blutsbruders.
Dahabí wurde angeblich 1969 bei Tal al-Kelach (dort, wo man den legendären Obayan für Bábolna 1885 erwarb) bei den letzten es-Sbaa geboren. Sie wuchs in einem Frauenzelt zusammen mit Kindern auf. So muß es gewesen sein, denn Dahabí kommt in meine Wohnung und benimmt sich dort anständig. Sie stürzt keine Stühle um, sie frißt keine Zimmerpflanzen ab, sie beschmutzt nichts. Stundenlang steht sie ruhig hinter mir neben den Bücherregalen des Arbeitszimmers und hört dem Klappern meiner Schreibmaschine zu.
Dahabí ist nach Aussage meines Blutsbruders asil. Sie kam zu mir „vom guten Hause“ eines Gläubigen, ich bekam sie als Blutsbruderschaftsgeschenk. Weil ich den Wert einer solchen Bindung nicht kannte, wollte ich mich von der asilen Abstammung Dahabís selbst überzeugen. Dabei hatte ich mein Wissen um dieses Phänomen nur aus Büchern. Vor einiger Zeit hatte ich Dahabí auf eine abenteuerlich-illegale Weise von Syrien hierher gebracht. Ich hatte mich entschieden, die letzten 580 km, die auf dem Rückweg in meine Heimat vor mir lagen, wie ein Flüchtender zu reiten. Mein Blutsbruder war von der Idee begeistert: „Sie ist fähig, in 24 Stunden 300 km zu galoppieren. Fünf Minuten bevor sie stirbt, wirst Du gar nicht merken, daß sie todmüde ist.“
Langstreckenexperten verfaßten für mich eine detaillierte Wegbeschreibung, vergaßen dabei aber, daß ein Pferd nicht immer dorthin kommt, wohin der Mensch es mit Hilfe der Landkarte schicken möchte. So standen wir eines Abends im Mai 1982 vor einem tiefen Canyon. Eine Seilbrücke, deren Gehsteig aus angeschraubten Brettchen mit Abständen von ca. 40 cm bestand, führte hoch über einen rauschenden Wildbach aufs andere Ufer. Den Mut, darüber zu reiten, fand ich nicht, aber die Stute folgte mir Schritt für Schritt bedenkenlos, setzte aufmerksam ihre Hufe auf die wackelnde Unterlage. Ich wollte damals das Wunder in den Himmel hinausschreien. Etliche Kilometer weit gab es niemanden. Wir blieben in der Brückenmitte breitfüßig stehen, und in meinem Überschwang schaukelte ich dieses Gebilde hin und her. Dahabí schaute mich vertrauensvoll an.
110 Kilometer pro Tag bedeuten je 14 Stunden unterwegs zu sein, teilweise zu Fuß, teilweise im Sattel. Ein etwa 20 m breiter Gebirgsfluß mit 140 cm Wassertiefe im Flutregen war zu durchqueren. 1900 m hoch mußten wir auf schmalem Gebirgspfad klettern. Jedes mir bisher bekannte Pferd hätte längst ausgeschuht (seine Hufwand verloren). Ich konnte hier erfahren, daß absolute Leistung die Fähigkeit zu absolutem Ausruhen voraussetzt. In jeder Pause legte sich Dahabí nieder und schlief, selbst am hellen Mittag auf einer Parkwiese inmitten einer Stadt, um danach „wie ein Tiger“ wieder loszulegen.
Entgegen der Meinung, die „edelsten“ Pferde trinken immer nur das sauberste Wasser, trank Dahabí in der Wildnis unserer Strecke alles, was dem Wasser ähnlich war. Vielleicht deswegen, weil ihr Instinkt ihr sagte, dies könnte das letzte Wasser sein, das es geben wird. Von der Stute fasziniert, tat ich es ihr gleich, denn ich wollte schließlich auch so zäh sein. Ernährt haben wir uns von dem, was unterwegs zu finden war.
Mein fachliches Interesse gilt schon seit langem der Kommunikation zwischen den einzelnen Arten. Der Kommunikationscode zwischen Reiter und Pferd in der akademischen Reitkunst hat für mich Modellcharakter. Ich war damals auf der Suche nach einem im Pferdebereich höchst intelligenten Tier, als mir Dahabí anvertraut wurde. Mir gelang es, aus diesem ursprünglichen Kriegspferd der Wüste erfolgreich ein akademisches Schulpferd zu machen. Ich konnte sie in einer Passage gegen ein landendes Flugzeug reiten, die Tragflächen im heftigen Wind, und im ohrenbetäubenden Lärm des Propellers so dirigieren, daß sich Dahabí Leckerbissen aus der Hand des noch am Steuerknüppel sitzenden Piloten nehmen konnte.
Siebzehn Jahre des Zusammenlebens mit Dahabí waren für mich ein steter Quell der Freude. Eigens für sie habe ich ein Zimmer meines Bauernhauses in einen Stall umgewandelt. Sie hat über drei meiner englischen Bullterrier, die sie nacheinander erlebte, eindeutig und doch friedlich dominiert. Sie ging mit mir (vor, nicht hinter mir) frei spazieren, ob im Gelände oder sogar in der Stadt.
Ihr Leben lang hat sie ihren Kot im Inneren ihres Stallzimmers abgelegt, nie auf der Koppel oder gar unter dem Reiter gemistet. Auch im Wasser nicht, was Pferde oft reflexbedingt tun. Da sie ihren Stall von der Koppel aus jederzeit erreichen konnte, mochte man glauben, sie hielte das Misten für eine intime Angelegenheit. Dahabí war durch ihre Ausbildung in der Schulreiterei zu einem Muskelpaket geworden, sie strotzte vor Gesundheit. Nie hat eine Verletzung bei ihr geeitert, Hufe und Sehnen blieben glasklar. Sie starb in meinen Armen neunundzwanzigjährig einen schmerzhaften Tod durch Komplikationen des Cushing-Syndroms nach dem Ausfall der Eierstocktätigkeit. Sie war güst geblieben (sterilitas ex causa ignota), wie Allah es wohl gewollt hatte. Dahabí war eine der letzten ihrer Gattung, ein lebendiges Fossil. Heute gibt es kaum noch Beduinen in Arabien und kaum noch „Wüstenpferde“ im alten Sinn des Wortes.
Ich bin Gestütsdirektor eines im Jahre 1579 gegründeten Hauptgestüts mit beinahe 700 Pferden einer alten Kulturrasse, die ich sehr schätze, und diesem Gestütsdirektor mit jahrzehntelanger Erfahrung im Umgang mit Pferden dürfen sie glauben: Alles Bedeutende der Hippologie über Adel, Temperament, Charakter, Konstitution und Bewegung habe ich von der 147 cm großen und nur acht Zentner schweren tapferen Asil Araberstute Dahabí erlernt. Gelegentlich sehe ich mich gezwungen, auf eine triviale Frage über den Grund meiner Begeisterung auch eine triviale Antwort zu geben: Der Unterschied zwischen einem Asil Araber, der noch dazu die Wüstenluft atmen konnte, und einem europäischen Warmblut ist genauso groß wie der zwischen dem Warmblut und einem Rind. Das soll kein Witz sein, ich meine es ernst.
Dr. med.vet. Norbert Zalis, Nationalgestüt Kladrub, Tschechische Republik