Willst du dein Geld oder mein Pferd?
H. v. Moltke (1835-39)
Der Kjerwan-Baschi erzählte mir heute Abend eine charakteristische Anekdote von einem Araber, welche ich schon in Orfa gehört hatte.
Ein türkischer Kavalleriegeneral, Dano-Pascha zu Mardin, stand schon seit langem in Unterhaltung mit einem arabischen Stamme wegen einer edlen Stute vom Geschlecht Meneghi; endlich vereinigte man sich zu dem Preise von 60 Beuteln oder nahe 2000 Thalern. Zur verabredeten Stunde trifft der Häuptling des Stammes mit seiner Stute im Hofe des Paschas ein; dieser versucht noch zu handeln, aber der Scheikh erwidert stolz, daß er nicht einen Para herablasse. Verdrießlich wirft der Türke ihm die Summe hin mit der Aeußerung, daß 30000 Piaster ein unerhörter Preis für ein Pferd sei. Der Araber blickt ihn schweigend an und bindet das Geld ganz ruhig in seinen weißen Mantel, dann steigt er in den Hof hinab, um Abschied von seinem Thiere zu nehmen; er spricht ihm arabische Worte ins Ohr, streicht ihm über Stirn und Augen, untersucht die Hufe und schreitet bedächtig und musternd rings um das aufmerksame Thier. Plötzlich schwingt er sich auf den nackten Rücken des Pferdes, welches augenblicklich vorwärts und zum Hofe hinausschießt.
In der Regel stehen hier die Pferde Tags und Nachts mit dem Palan oder Sattel aus Filzdecken. Jeder vornehme Mann hat wenigstens ein oder zwei Pferde im Stall bereit, die nur gezäumt zu werden brauchen, um sie zu besteigen; die Araber aber reiten ganz ohne Zaum, der Halfterstrick dient, um das Pferd anzuhalten, ein leiser Schlag mit der flachen Hand auf den Hals, es links oder rechts zu lenken. Es dauert denn auch nur wenige Augenblicke, so saßen die Agas des Paschas im Sattel und jagten dem Flüchtling nach.
Der unbeschlagene Huf des arabischen Rosses hatte noch nie ein Steinpflaster betreten, und mit Vorsicht eilte es den holprigen steilen Weg vom Schlosse hinunter. Die Türken hingegen galoppiren einen jähen Abhang mit scharfem Geröll hinab wie wir eine Sandhöhe hinan; die dünnen, ringförmigen, kalt geschmiedeten Eisen schützen den Huf vor jeder Beschädigung, und die Pferde, an solche Ritte gewöhnt, machen keinen falschen Tritt. Am Ausgang des Orts haben die Agas den Scheikh beinahe schon ereilt; aber jetzt sind sie in der Ebene, der Araber ist in seinem Elemente und jagt fort in gerader Richtung, denn hier hemmen weder Graben noch Hecken, weder Flüsse noch Berge seinen Lauf. Wie ein geübter Jockey, der beim Rennen führt, kommt es dem Scheikh darauf an, nicht so schnell, sondern so langsam wie möglich zu reiten; indem er beständig nach seinen Verfolgern umblickt, hält er sich in Schußweite von ihnen entfernt; dringen sie auf ihn ein, so beschleunigt er seine Bewegung; bleiben sie zurück; so verkürzt er die Gangart des Thieres; halten sie an; so reitet er Schritt. In dieser Art geht die Jagd fort, bis die glühende Sonnenscheibe sich gegen Abend senkt; da erst nimmt er alle Kräfte seines Rosses in Anspruch; er lehnt sich vorn über, stößt die Fersen in die Flanken des Thiers und schießt mit einem lauten ‚Jallah‘ davon. Der feste Rasen erdröhnt vom Stampfen der kräftigen Hufe, und bald zeigt nur noch eine Staubwolke den Verfolgern die Richtung an, in welcher der Araber entfloh.
Hier, wo die Sonnenscheibe fast senkrecht zum Horizont hinabsteigt, ist die Dämmerung äußerst kurz, und bald verdeckt die Nacht jede Spur des Flüchtlings. Die Türken, ohne Lebensmittel für sich, ohne Wasser für die Pferde, finden sich wohl zwölf oder fünfzehn Stunden von ihrer Heimath entfernt in einer ihnen ganz unbekannten Gegend. Was war zu thun? Als – umzukehren und dem erzürnten Herrn die unwillkommene Botschaft zu bringen, daß Roß und Reiter und Geld verloren. Erst am dritten Abend treffen sie halb todt vor Erschöpfung und Hunger, mit Pferden, die sich kaum noch schleppen, in Mardin wieder ein; ihnen bleibt nur der traurige Trost, über dieses neue Beispiel von Treuelosigkeit eines Arabers zu schimpfen, wobei sie genöthigt sind, dem Pferde des Verräthers alle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und einzugestehen, daß ein solches Thier nicht leicht zu theuer bezahlt werden kann.
Am folgenden Morgen, als eben der Imam zum Frühgebet ruft, hört der Pascha Hufschlag unter seinen Fenstern, und in den Hof reitet ganz harmlos unser Scheikh. „Sidi!“ ruft er hinauf: „Herr! Willst du dein Geld oder mein Pferd?“